Was macht die Frau erotisch?
Immer wenn Themen wie "Die
Entwicklung der Frauen im Beruf" oder ähnliche
Podiumsdiskussionen anstanden, wurde Silvia
hingeschickt. Während der Hinfahrt machte die junge Frau
bei einer Raststätte Pause und widmete sich ihrer
äußeren Verwandlung. Auf der Damentoilette schlüpfte sie
aus ihrem kurzen, engen Rock und dem knappen Oberteil
und zog stattdessen eine weite, weiße Bluse an, welche
sie über der dunkelgrünen Anzughose trug. Ihre langen,
braunen Haare kämmte sie streng nach hinten und hielt
sie in einem Knoten zusammen. Zufrieden lächelte Silvia
ihr Spiegelbild an und setzte, standesgemäß gestylt,
ihre Fahrt fort.
Verursacht durch einen Stau kam sie vierzig Minuten zu
spät. Hastig eilte sie über den Parkplatz zur Hotelhalle
und holte während des Laufens noch Vaters Nickelbrille
aus der Handtasche – auf diese Weise sah sie nicht nur
schlau, sondern auch professionell aus. Der einzige
Nachteil war, dass sie damit nicht richtig Lesen konnte,
die Buchstaben tanzten verschwommen vor ihren Augen –
egal, dieser Tag würde vorbei gehen und ihr wieder
Pluspunkte bei ihrem Chef bringen. Vielleicht folgte ja
ein Folgeauftrag für das Institut zur weiteren
Marktuntersuchung.
In der Lounge empfing sie der Betreuer der Veranstaltung
und bat sie, sich noch schnell auf den bereitliegenden
Listen für Redner einzutragen. Mit zusammengekniffenen
Augen versuchte sie ihre Rubrik ausfindig zu machen. Ja,
da stand es doch: "Die Rolle der Frau im Sex..."
Äh, was steht da? Das wird es schon sein. Kurzerhand
trug sie ihren Namen ein: Dr. Silvia Friedhoff –
halbstündiges Referat über die Entwicklung der modernen
Frau. Anschließend brachte der Mitarbeiter sie in den
entsprechenden Sitzungssaal.
Leise schlich Silvia zu einem freien Stuhl in der
hintersten Reihe, holte erleichtert Luft und lauschte
den Ausführungen eines Mannes auf der Bühne, welcher die
Anwesenden begrüßte und den Ablauf des Tages bekannt
gab. Schließlich stellte er noch die zu erwartenden
Redner vor, auch ihr Name wurde genannt, und legte deren
Reihenfolge fest. Sie sollte als letzte sprechen.
Der erste Vortrag begann und Silvia wollte gerade in
ihrer Gedankenwelt versinken, als sie aufhorchte.
Was für ein Blödsinn gab dieser Mann nur von sich? – Er
sprach von prüder Erziehung, von der Frauenrolle im
Bett, von ihrer Hingabe und ihrer zögerlichen
Befriedigung und über den geringen Prozentsatz der
Frauen, die überhaupt einen Orgasmus erlebten.
Auch der zweite Redner erläuterte ausgiebig die sexuelle
Entwicklung der Frau, nahm die vulgäre Hure sowie die
biedere Hausfrau ins Visier und erklärte die
unterschiedlichen erotischen Vorstellungen dieser.
Und der Dritte, der packte auf der Bühne diverses
Sexspielzeug aus. Er führte die neuesten Vibratoren vor,
erklärte dem staunenden Publikum den "G"-Punkt und, und,
und ...
Silvia schluckte entsetzt und überlegte, in welches
Forum sie hier geraten war. Entgeistert schaute sie sich
um und stellte fest, dass überwiegend Männer Zuhörer
waren. Sie rutschte nervös auf dem Stuhl. Ihr
vorbereitetes Manuskript konnte sie auf keinem Fall
verwenden. Was sollte sie aber dann zum Besten geben?
Was nur?
Aufgeben, heimlich verschwinden, sich aus dem Saal
schleichen – wäre das die Lösung ihres Problems? Nein –
aber …
Ihre Gedanken rasten wirr umher.
Gleich würde sie an der Reihe sein, gleich.
Da hörte sie schon ihren Namen.
Bleiern ging sie zur Bühne und stieg die kleine Treppe
empor. Jeder Schritt brachte sie dem Mikrophon näher.
Schließlich stand sie noch immer peinlich berührt vor
dem Publikum und schaute in schmunzelnde, grinsende,
gelangweilte und gar schlafende Gesichter. Sie, eine
Frau – die erste Rednerin an diesem Tag – sollte nun
über Frauen sprechen, über deren Sexualleben, über deren
Rollenspiel.
"Meine Damen, ... meine Herren ...", begann Silvia
holprig und versuchte sich auf ihr schnell zusammen
gebasteltes Konzept zu konzentrieren.
"Verstanden Sie die ehrenwerten Vorredner?"
Dabei blickte sie über den Brillenrand in den Saal, und
ein unmerkliches Raunen machte sich breit.
"Nun gut, ich verstehe – Sie auch nicht! – Im Übrigen,
was verstehen Sie unter Erotik, was ist erotisch für
Sie?"
Langsam setzten sich die Zuhörer aufrecht in ihre Stühle
und selbst der gelangweilte Gesichtsausdruck wechselte
in eine grübelnde, aber etwas mürrisch scheinende Mimik.
"Ja, liebe Gäste – Wer ist die Frau und was macht sie
erotisch? - Sind es ihre Brüste, die sie betont durch
dünnen Stoff zeigt?", dabei zog Silvia ihre Jacke aus
und streichelte über ihren Busen hinweg.
"Ist es ein federnder, mit den Hüften leicht
schwingender Gang?", und sie lief demonstrativ über die
Bühne. Drehte sich nach rechts, drehte sich nach links.
"Nein?", nachdenklich schüttelte sie mit ihrem Kopf und
krauste ein wenig ihre Stirn.
"Nun, dann sind es die Haare, die fließenden Haare ...",
bei diesen Worten griff sie an ihren Hinterkopf, löste
die Haarspange an ihrem Knoten und sogleich legten sich
braune Locken ums Gesicht.
Das Gemurmel im Saal wurde größer und Silvia machte es
allmählich Spaß, die Leute zu verwirren.
"Das ist es also auch nicht! Ist es dann ihr ebenmäßiges
Antlitz oder gar ihr schmachtender Blick?", wobei sie
endlich die schreckliche Brille abnehmen konnte und
siegessicher mit ihren braunen Augen in den Saal
schaute. Zufrieden stellte sie verdutzte Gesichter fest.
"Nein, wieder falsch. – Halt! Ich weiß, es ist die
Kleidung, eindeutig. Wie schaut schon eine sexy,
selbstbewusste, tolle Frau in so einer strengen, öden
Hose aus? – Schrecklich! Nicht wahr?" Automatisch
nickten einige der Besucher.
Die junge Frau stockte in diesem Augenblick, überlegte
kurz und öffnete ihre Hose. Langsam, ganz langsam ließ
sie den Stoff auf den Boden fallen und stieg aus dem
Kleidungsstück heraus. Die weiße Bluse bedeckte gerade
noch ihren Po. Silvia stand mit leicht gespreizten
Beinen, welche schwarze, halterlose Strümpfe einhüllten,
vor dem Publikum und bei jeder kleinsten Bewegung, bei
jedem Schritt schwang der leichte Stoff um ihre Hüften,
öffnete sich die Knopfleiste und jeder konnte ihr weißes
Seidenhöschen sehen.
Die meisten Gäste starrten sie an. Sie verfolgten gierig
Silvias Gesten und auf der ein oder anderen Stirn
bildeten sich winzig kleine Schweißperlen.
"Nein – nicht ganz. Aber wir sind der Sache schon viel
näher gekommen. Habe ich Recht?" und jetzt nickte die
Zuhörerschaft fast einmütig. Beinahe hätte dieser
Anblick Silvia aus ihrem Redefluss gebracht.
Mühselig unterdrückte sie ein Schmunzeln und sprach
weiter: "Was, ja was – liebe Gäste – macht nun die
heutige erotische Frau aus?"
Wortbrocken, wie: sich gehen lassen, offenere Erziehung,
Medien, Industrie, andere Wertvorstellungen, eigene
Sexualität und, und, und ... – hallten ihr aus der Menge
entgegen.
Eine Weile hörte sie den Rufen zu. Auf einmal öffnete
sie einen weiteren Knopf ihrer Bluse, strich mit
kreisenden Bewegungen über ihre Brüste, fuhr mit
gespreizten Fingern über ihren Körper und legte ihre
Hände auf die Oberschenkel, massierte sie sanft.
Augenblicklich herrschte Stille. Gierige Augen
verfolgten ihr Tun.
"Oh, nein! Nicht, dass Sie annehmen, ich strippe jetzt,
hier, vor Ihnen. Nein – aber ihre Reaktion ist ...",
ihre Zunge umspielte die roten Lippen und ein sanftes
Lächeln huschte über ihr Gesicht, "eindeutig! Ist das
also erotisch, geil oder gar anstößig?"
"Ja und nein. Es stellt für jeden etwas anderes dar. Der
Eine bekommt schon eine Erektion, wenn er eine junge
Frau mit großen Brüsten und Minirock sieht; sein
Gegenüber findet das abstoßend, pervers und meint
abfällig: 'Die braucht sich echt nicht zu wundern, wenn
die einer umlegt!' - Oder, dass eine Pärchen mag
Sex-Spiele, findet die hier bereits präsentierten
Lustspender himmlisch und sie genießen es; das andere
Pärchen verlässt sich viel lieber auf ihre eigenen
Hände, Lippen, Zungen, Finger und sie genießen DAS."
Nervöses Nuscheln und unruhiges Rascheln breiteten sich
aus. Ruhig sprach sie weiter: "Und meinen Sie nicht,
dass beide Pärchen den gleichen Spaß haben, die gleiche
Erfüllung?!"
Laute Stimmen riefen: Ja – klar - warum nicht - ja –
doch – ich, ich weiß nicht!
Unbeirrt redete Silvia weiter: "Dann diese romantischen
Stunden, Kerzenschein, Gläserklirren und leise Musik im
Hintergrund. Das kennen Sie doch?"
Silvia veränderte ihre Stimme und melodisch fuhr sie
fort: "Sanft streichelt der Mann seine Geliebte,
verwöhnt sie mit unzähligen Liebkosungen, säuselt ihr
schmachtende Worte ins Ohr, bis er nach langem Vorspiel
in sie eindringt und sich ihrer heißen, feuchten
Liebesgrotte annimmt. Sie wird in seinen Armen einen
Orgasmus erleben, der alles in den Schatten stellt ..."
Durchdringend blickte sie sich um und bemerkte nickende
sowie schüttelnde Köpfe.
"Nein? Wird sie nicht?" - "Oder?" - "Doch, ganz gewiss
wird sie!"
Da rief einer: "Aber so doch nicht und was ist
überhaupt, eine Liebesgrotte? Lächerlich …"
"Sie haben Recht - ja, das haben Sie!", antwortete
Silvia sachlich.
Abermals wurde ihre Stimme weich: "Eine Liebesgrotte,
ist eine andere Umschreibung für das Wort 'die Vagina',
wohl nicht so wohlklingend? Aber für Sie, da hinten
rechts. Aha, Ihnen gefällt das Wort. So ist es!"
Verschmitzt lächelte sie vor sich hin.
"Betrachten wir uns noch ein weiteres Paar, sie mögen es
etwas anders. Sie mögen auch Streicheleinheiten, nur
derber und sie mögen ebenso erregende Worte, die da
heißen: nimm mich, ich bin heiß nach dir, meine Möse
sehnt sich nach deinem harten Schwanz. Komm fick mich;
komm, stoß mich; gib es mir; zeig es meiner geilen Fotze
– jetzt, gleich, hier, blase mir einen; lutsch meine
harte Latte, jetzt, hier, komm, komm ..."
Eine kurze Pause – Schweigen.
"Ist das für Sie Erotik?" Einige Gäste rutschten unruhig
auf ihren Stühlen hin und her, andere schauten grübelnd
vor sich hin.
"Was wollte ich damit sagen, werte Anwesende?"
"Eine Frau wird nicht erotisch durch fließende Haare,
durch ein anmutiges Gesicht, durch eine mädchenhafte
Figur, durch wohlgeformte Brüste oder soll ich sagen,
durch große Titten? Nein, nur durch das Auge des
Betrachters wird sie es. Ihn stören beispielsweise
überhaupt keine Kleidungsstücke ...", dabei bückte sie
sich und zog ihre Hose wieder an, "seine Augen nehmen
sie so wahr, wie sie für ihn alleine ist - erotisch.
Egal, ob sie eine biedere Hausfrau, mit dickem Hintern,
oder eine Emanze im Schlosseranzug ist. Es ist
Geschmackssache! Und lassen wir allen ihren Geschmack,
ihre Vorlieben!", wieder umspielte ein Lächeln ihren
Mund.
Kein Mucks war zu hören. Alle starten sie an.
"Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es schon immer
erotische Frauen gab und dass sie damals wie heute,
guten wie schlechten Sex hatten und haben. Nur! – Heute
spricht man offen darüber. Die Frauen erleben ihre
eigene Sexualität. Sie wählen und nehmen und genießen.
Sie lieben, poppen, ficken, bumsen oder wie auch immer
Sie es aussprechen wollen. Jede, jeder so wie sie, so
wie er es wünscht…"
"Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!"
Ein tosender Applaus begleitete Silvia zu ihrem Platz.
Als sie sich wieder brav hinsetzte, beugte sich ein
braungebrannter, athletischer Mann zu ihr herüber. Seine
stahlblauen Augen funkelten sie an, musterten sie.
Mit einer rauen, sinnlichen Stimme sagte er: "Ihr
Vortrag war klasse. So etwas habe ich noch nie erlebt.
Ich würde im Anschluss an diese Veranstaltung in meinem
Hotelzimmer noch weiter mit Ihnen diskutieren. Was
hältst du davon?", und strich er mit der Zunge über
seine Lippen.
Silvia schaute ihn an, öffnete ihren Mund und ließ
gleichfalls ihre Zunge über die Lippen gleiten.
"So, so – Sie, äh, du findest mich erotisch?", hauchte
sie ihm entgegen.
"Ja, ungemein …", dabei fasste er auf ihren
Oberschenkel.
"Ich gebe Ihnen meine Visitenkarte. Sie können meinem
Chef von ihrem Erlebnis berichten, er wird sich freuen!
Und – Ich! Ich liebe Männer mit Bauch, diese sind für
mich erotisch. Sorry!".
Beim Überreichen ihrer Visitenkarte lächelte sie ihn
verschmitzt an. Augenzwinkernd stand sie auf: "Ich
wünsche Ihnen noch viel Vergnügen und Erfolg. Auf
Wiedersehen!", und verließ den Saal.
In der Lobby drehte sie sich noch ein letztes Mal um.
Ihr Blick fiel auf die kleine schwarze Tafel neben der
geöffneten Flügeltür:
16. Erotik-Kongress – Thema: Die Entwicklung der Frau in
den letzten zehn Jahren und deren Rolle im Sexualleben.
Als sie in ihrem Auto saß begann sie zu lachen und
wusste, dass dies ihr bisher bester Vortrag war!
Was würde wohl ihr Chef dazu sagen und was sie ihm?
|