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Schwarzer Engel
Da liegt sie, mit
geschlossenen Augen, ruhig, wie er sie immer gekannt
hatte. Langsam streifen seine Fingerkuppen über ihren
wunderschönen Körper, den Körper der Frau, die er
begehrte und liebte, wie sonst nichts auf dieser Welt,
mehr als sein eigenes Leben. Sanft fahren seine Hände
über Ihr nacktes Fleisch, streichen durch ihre schwarzen
langen Haare. Er beugt sich über sie und saugt ihren
Duft ein. Gott, wie sehr er diese Frau liebt!
Das Licht schwarzer Kerzen erhellt friedlich den Raum,
und die beiden Körper werfen schemenhafte Schatten auf
die Wand, an der das Bett steht. Die Mondscheinserenade
ertönt leise und sanft aus den Lautsprechern. Er lächelt
- sie hatte dieses Stück schon immer geliebt.
Langsam rinnt eine Träne über seine Wangen und trifft
schließlich ihre Brust, deren Warze mit einem goldenen
Ring geschmückt ist. Sie hatten sich damals vor ihrer
Hochzeit beide Ringe stechen lassen, als Zeichen ihrer
tiefen, nie endenden Verbundenheit. Er schmiegt sich an
sie und berührt mit seinem Ring den ihrigen, fühlt sich
geborgen am geliebten Fleisch. Eine zweite Träne fällt
auf ihre Brust, benetzt ihren zarten Körper mit dem
Ausdruck seiner unendlichen Liebe.
Nebelschwaden verhüllen seinen Blick für das jetzt und
hier, lassen ihn Raum und Zeit vergessen, und seine
Gedanken schweifen zurück in verflossene Zeiten.
Verzerrte Bildnisse der Vergangenheit laufen vorbei an
seinem geistigen Auge...
Sie hatten sich damals auf einer kleinen Party kennen
gelernt. Er hatte sich eigentlich auf einen eher
langweiligen Abend eingestellt, da er außer dem
Gastgeber niemanden kannte. Seinem alten Freund zuliebe
war er über das Wochenende nach Heidelberg gereist, um
dort in alten Erinnerungen des gemeinsamen Studiums zu
schwelgen.
Doch plötzlich tat sich ein Lichtblick auf, als er diese
Frau am Buffet stehen sah. "Vielleicht wird der Abend
doch nicht so langweilig," dachte er sich und machte
sich auf, die Bekanntschaft der schönen Unbekannten zu
machen. Er stellte sich hinter sie, gab irgend einen
belanglosen Kommentar über das schöne Buffet ab. Von dem
Augenblick, an dem sie sich umdrehte und er ihr samtenes
Halsband sah, war er verloren. Er blickte ihr tief in
ihre braunen Augen, verlor sich in ihrem Glanz, und er
glaubte in ihnen die gleiche Sehnsucht zu erkennen, die
auch ihn erfüllte.
Sie verbrachten den restlichen Abend zusammen, wichen
einander nicht mehr von der Seite. Zu interessant war
diese neue Bekanntschaft, als dass sie auch nur eine
Sekunde ungenutzt lassen wollten. Irgendwann war auch
die Party zu ende, und er schlug einen gemeinsamen
Spaziergang durch die Nacht vor. Oben am Schloss hatten
sie sich dann gemeinsam geliebt, sich ihrer Leidenschaft
hingegeben.
Den Rest des Wochenendes verbrachten die beiden
gemeinsam in seinem Hotel. Sie redeten über gemeinsame
Sehnsüchte und die dunkle Leidenschaft, die beide
erfüllte. Er war der erste Mann, dem sie sich vollkommen
hingeben mochte, dessen Besitz sie sein wollte. Er war
auch der erste, von dem sie sich fesseln und schlagen
lies, und er tat dies mit einer Hingabe und Fürsorge,
die sie weinen lies. Bevor sie sich trennen mussten,
hatte er ihr als Zeichen der neuen Liebe mit einem
Skalpell eine kleine Rose, die seine Initialen
umschlang, auf den Rücken geschnitten, damit sie sich in
jeder Sekunde an ihn erinnerte. Sie waren beide
unsterblich verliebt.
Die Jahre gingen ins Land, und sie wurden einander immer
vertrauter. Sie genoss es, sich bei ihm völlig loslassen
zu können, ihm zu gehören und sein
Halsband für immer
tragen zu dürfen. Sie lebten stets im jetzt und hier,
denn sie brauchten sich keine Sorgen um das Kommende zu
machen, denn ihre Liebe und Leidenschaft war stets
stärker gewesen, als alle Zweifel an ihrer gemeinsamen
Zukunft. Irgendwann waren sie zusammengezogen und
glücklich geworden. Hier konnten sie sich zu hause und
geborgen fühlen.
Doch vor wenigen Wochen nahm das Schicksal dann seinen
Lauf. "Krebs im Endstadium" - eine nüchterne Diagnose,
die zwei Leben jäh zerstören kann. Nur noch wenige
Wochen sollte sie zu leben haben. Sie hatte furchtbare
Angst vor dem Tod, Angst, dass sie getrennt würden.
Dann war er gekommen, der herbeigesehnte und doch so
unendlich gefürchtete Abend. Noch ein letztes mal wollte
sie zusammen mit ihm die dunklen Täler ihrer Seelen
durchwandern, ihm ein letztes mal zeigen, dass sie ihm
für immer gehören würde - bis in den Tod hinein. Sie
kniete vor ihm, nur mit Halsband und Handfesseln
bekleidet, so wie er es liebte, und gemeinsam vollzogen
sie ein letztes mal die Rituale ihrer Leidenschaft.
Sie hatten diesen Augenblick sorgfältig geplant. Er
hatte ihr versprochen, sie von den Schmerzen zu erlösen,
sie den Todeskampf nicht alleine kämpfen zu lassen, nur
um dann elendig an den Schläuchen und Kabeln der
Apparatemedizin auf unmenschliche Art und Weise zu
verrecken. Sie lag in seinen Armen, als er ihr die
Zyankalikapsel in den Mund schob und schaute ihm ein
letztes Mal liebevoll in die Augen und schluckte die
Kapsel hinunter. Danach schloß sie die Augen und schlief
friedlich in seinen Armen ein. Stundenlang hielt er sie
so, wollte sie nicht, dass sie geht und doch ließ er sie
aus Liebe los.
Tränen wandern über seine Wangen, als er aus seinen
Erinnerungen aufwacht und sie vor sich sieht - leblos
und dennoch unendlich schön liegt ihr geliebter toter
weißer Körper vor ihm. Sie trägt immer noch sein
Halsband und seine Fesseln. Wie gerne würde er sein
Leben gegen das ihre eintauschen, würde das von ihm so
geliebte Lächeln zu neuem Dasein verhelfen, auch wenn es
das seinige kosten würde. Laut aufschreien möchte er,
doch der Schmerzensschrei verhallt ungehört in den
dunklen Tiefen seiner verletzten Seele.
Langsam setzt er das Skalpell, mit dem er sonst immer
nur sie gezeichnet hatte, an seine rechte Hand und
schneidet sich mit einem langen Schnitt die Pulsader
auf. In kleinen pulsierenden Strömen läuft sein Leben
warm und rot aus seinem Arm, wäscht den Schmerz von
seiner Seele, hinaus aus seinem Körper. Das Blut läuft
über seinen Arm und tropft auf ihr weißes unschuldiges
Fleisch, um dort eins mit ihr zu werden. Er legt seinen
Kopf auf Ihre Brust, drückt sich fest an sie. "Gleich
werden wir für immer zusammen sein!" flüstert er leise
zu ihr. Ein Lächeln kommt ihm über seine mit Tränen
bedeckten Wangen, und langsam schließen sich seine
Augen.
Tiefe Schleier endloser Nacht legen sich über ihn und
berauben ihn langsam seiner Sinne. Das letzte, was er
sieht ist sie in schwarzen wallenden Gewändern, wie sie
ihn lächelnd zu sich winkt, auf dass sie als schwarze
Engel für immer vereint sein werden, während im Zimmer
das schwarze Licht der Kerze für immer erlischt...
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