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In Ekstase
"Warum ziehst du dich
nicht aus?" fragte ich. "Du schämst dich doch nicht etwa
vor mir?" "Warum sollte ich?" gurrte sie. "Bei dir fühl'
ich mich immer sehr geborgen." "Das macht mich
zufrieden", grinste ich, holte aus dem Schrank eine
Flasche Kognak, zwei Gläser und stellte beides auf den
Tisch. Während ich die Flasche öffnete, begann Renate
sich auszuziehen. Sie zog das Kleid über den Kopf und
legte es sorgfältig auf die Sessellehne.
Große, schwere Brüste in zu engen Halbschalen. Unter
einer relativ schlanken Taille breite Hüften, ein sanft
vorgewölbter Bauch und ein fester, runder Hintern. Als
sie das Höschen abstreifte, ahnte ich schon, was ich zu
sehen bekommen würde. Sie war stark behaart. Fast wie
ein Mann. Bis weit über den Bauch. Auch die Schenkel und
die Waden zeigten einen kräftigen Haarwuchs.
Sie stand da im Büstenhalter und in Strümpfen, die von
einem schmalen, rosa Gürtel gehalten wurden.
Strumpfhosen verdecken, zerstören. Ich mag sie nicht.
Ich sah sie an, reichte ihr eines der Gläser. Sie roch
daran, verzog das Gesicht, dann kippte sie den Inhalt
mit einer raschen Bewegung hinunter. Sie schüttelte sich
und gab mir das Glas zurück. "Der erste Schluck erfüllt
mich stets mit Grausen", sagte sie. "Das Schönste kommt
immer später", klärte ich sie auf. "Das ist im Leben so,
in der Liebe und auch beim Schnaps." "Ja, ich weiß, du
kennst dich aus. In allem." "Ist dir das unangenehm?"
forschte ich. "Durchaus nicht. Bei dir und deiner
Erfahrung bin ich in besten Händen." "Freut mich
ungemein."
Ich hatte eine ausgefallene Idee. Ich holte aus dem
Schrank lange schwarze Seidenstrümpfe und ein Paar Pumps
mit sehr hohen dünnen Bleistiftabsätzen, so wie sie vor
Jahren modern gewesen waren. "Zieh' das an!" sagte ich.
Sie schüttelte verwundert den Kopf, setzte sich auf die
Bettkante, wechselte die Strümpfe und zog die Schuhe an.
Dann stand sie auf. Sie schwankte und wäre unweigerlich
hingefallen, hätte ich sie nicht im letzten Moment in
die Arme genommen. Sie kicherte. "Auf diesen Absätzen
kann man ja kaum stehen, geschweige denn gehen."
"Versuchs trotzdem", sagte ich. Sie machte einige
Schritte, ging durch das Zimmer, und mit jedem Schritt
ging es besser.
Ich sah sie an und fand sie sehr sexy. Irgend etwas zog
in meinen Lenden, schoss tiefer hinab. Ich fühlte mein
Verlangen steigen. Sie erblickte sich im großen
Wandspiegel und begann zu lachen. "Gott, sehe ich
komisch aus", stieß sie amüsiert hervor. Ich trat hinter
sie und öffnete den Verschluss ihres Büstenhalters,
streifte das dünne Ding ab. Ihre schweren Brüste fielen
jetzt einige Zentimeter tiefer, aber sie blieben prall
und fest. Ich sah die großen dunkelbraunen Höfe und
große, steil aufgerichtete Warzen.
Ich begann mich zu entkleiden. Als ich nackt war, setzte
ich mich auf den Bettrand. Ich sah mich im Spiegel
hinter ihr sitzen. Vor meinem Gesicht war ihr praller,
weißer Hintern. Am übrigen Körper war sie braungebrannt.
Auch die Brüste schimmerten weiß. Ich beugte mich vor
und biß zärtlich in eine der vollen Hinterbacken. Renate
lachte und drehte sich um. Jetzt hatte ich ihren Bauch
und das stark behaarte Dreieck vor meinem Gesicht.
Ich zog sie näher zu mir heran, drückte meinen Kopf
gegen ihre Haare, gegen den weichen Bauch. Sie machte
sich frei und ging zu dem Tisch, auf dem die Flasche und
die Gläser standen. "Ich brauche Mut", sagte sie. "Ich
brauche immer sehr viel Mut, wenn ich bei dir bin." Sie
füllte ihr Glas halbvoll und trank es in einem Zug leer.
Dann schüttelte sie sich wie immer und japste nach Luft.
Sie brachte auch mir ein volles Glas. Ihr Blick wanderte
über meinen Leib, dann lachte sie heiser.
"Ganz gut", sagte sie. "Es ist einige Zeit her, seit ich
dich so gesehen habe." Eine Woche", sagte ich.
"Trotzdem, ich brauche dich - jetzt." "Ungeduldig?"
"Sehr." "Du könntest mir treu sein, was?" "Ich würde es
sein, wenn es einen Sinn hätte." "Hat es keinen?" fragte
ich. Sie lächelte und hob ihre Brüste mit beiden Händen
an. "Nein", sagte sie. "Nein, ich glaube, es hat keinen
Sinn, auf dich zu warten." "Warum eigentlich nicht?"
"Weil du ein eingefleischter Junggeselle bist." "Glaubst
du fest daran?" "Ja! Rolf Hansen, Abteilungsleiter in
einem großen Kaufhaus, einen Meter und achtundachtzig
groß, genauso viel Kilo schwer, prachtvoller Körperbau,
ein John-Wayne-Typ, ist eingefleischter Junggeselle. Hat
zwar bei den Frauen tolle Chancen, aber er fällt nicht
darauf herein. Schade. Sehr schade."
Ich lachte laut heraus. "Du weißt wohl alles von mir,
was?" fragte ich. "Wir kennen uns lange genug!" "Stimmt!
Aber du hast vergessen, mein Alter anzugeben".
"Verzeihung! Also, dieser tolle Typ ist fünfunddreißig,
aber man sieht ihm die Jahre nicht an." "Danke!" lachte
ich. "Du bist eine süße, kleine Schmeichelkatze." Meine
Hände glitten über ihren Bauch, hinab zwischen die
Schenkel, die sich willig öffneten.
"Leg' dich aufs Bett", sagte ich mit kurzem Atem. "Komm,
leg' dich aufs Bett!" Sie legte sich hin und spreizte
die angezogenen Beine. Ich sah auf das braunbehaarte
Dreieck, auf die vollen Lippen, die feucht und rosig
schimmerten. Ich verlor keine Zeit, schob mich über die
nackte Mädchengestalt, suchte für Sekunden, glitt dann
weich in sie hinein. Sie stöhnte auf, klammerte sich an
mir fest. Ich legte mich auf ihre vollen Brüste, auf die
weichen Kissen aus samthäutigem Fleisch. Sie drückte
sich an mich und hob mir ihr Becken rhythmisch entgegen.
Ich hörte sie leise wimmern. Dann spürte ich, wie die
heiße, glatte Enge, in der ich hin und her glitt, immer
feuchter wurde. Sie stöhnte, lachte, keuchte. Ihr Mund
war weit geöffnet, sie stieß wirre Laute aus. "Jaaa, -
komm! Mach' weiter! - - - Hör' nicht auf! - - - Aaaahhh,
das ist gut! - - - Das - ist sooo guuut! - - Tu's
schneller! - - Los doch! - - Tu's schneller! - - Noch
mehr! - - - Jaa, - - jetzt! - - Ooohh, - jaaa, -
jeeeetzt!" Wir waren beide in Schweiß gebadet. Ich
küsste sie und sie erwiderte meinen Kuss, ungestüm und
gierig. Sie biss mich spielerisch in die Zunge. Unsere
Wangen, die aneinander klebten, waren nass und heiß. Ich
spürte, dass auch ich bald so weit war, wollte es
hinauszögern und wurde langsamer. Doch sie wand sich
ungeduldig unter mir, krallte sich in meinen Rücken
fest. "Weiter", stöhnte sie mit geschlossenen Augen.
"Oh, mach' weiter! Hör' nicht auf! - - Fester! - - Du
machst mich glücklich! - - Wenn - du so - weitermachst,
- - dann bin ich - bald - wieder so - weit. - - Jaaa! -
Ohhh das - ist schön! Spürst du mich? - - Sag', spürst
du - mich?"
Ich spürte sie. Ich konnte fühlen, wie sich ihre
Scheidenmuskeln zusammenzogen, und wie sich in ihr
eine Schleuse zu öffnen schien. Genau in dem Augenblick,
als auch ich den Höhepunkt nahen fühlte und mich bald
darauf in sie ergoss. Ich machte noch weiter, mit
langsamen, auskostenden Bewegungen. Auch sie stieß von
unten her; für Minuten noch, dann hielt sie ermattet
inne. Wir lagen uns in den Armen und sahen uns an.
"Glücklich?" fragte sie leise. "Zufrieden", sagte ich.
Ich nahm zwei Zigaretten, zündete sie an und schob ihr
eine zwischen die vollen Lippen.
"Du bist wohl nie glücklich, wie?" fragte sie nach dem
ersten, tiefen Zug. "Ich war es lange nicht mehr",
gestand ich. "Du könntest es aber sein." "Vielleicht",
sagte ich und sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Es
war um die siebente Abendstunde. Sie hatte meinen Blick
bemerkt. "Gehst du noch fort?" fragte sie. "Ich bin mir
nicht sicher." Ihre nackten Brüste pressten sich gegen
meinen Oberkörper. "Wo treibst du dich am Abend herum?
Ich meine, wo gehst du hin? Was machst du eigentlich
nach Feierabend? Ich weiß darüber sehr wenig." "Musst du
es wissen?" fragte ich zurück. "Das nicht. Aber du
könntest es mir sagen." "Was hättest du davon?" "Nichts,
zugegeben. Ich mag dich sehr. Warum nimmst du mich nicht
mit? Dahin, wo du hingehst?" "Ich bin ein schlechter
Gesellschafter." "Das glaube ich dir nicht." "Aber es
ist so."
Sie strich mit ihren kleinen Händen über meinen nackten
Bauch, über meine Schenkel, berührte für Sekunden mein
Glied. "Deinen Körper habe ich bekommen", sagte sie
leise, "aber an dein Herz lässt du wohl niemanden heran,
was?" "Warum nicht? Irgendwann einmal wird auch das
geschehen." "Aber wenn es geschieht", flüsterte sie,
"dann werde ich sicher nicht dabei sein." "Das kann man
nie wissen", lächelte ich und sah sie an. Sie drehte den
Kopf weg. "Du solltest mir keine Hoffnungen machen." Ich
erhob mich und griff nach den Gläsern. "Komm, Renate",
sagte ich, "trinken wir noch einen Schluck!" Sie trank,
sie hustete, sie schüttelte sich wie vorhin. Dann
verschwand sie im Badezimmer.
Als sie nach einer Weile herauskam, hatte sie die
hochhackigen Schuhe ausgezogen, auch die schwarzen,
seidenen Strümpfe. "Das war's wohl, wie?" fragte sie mit
einem kleinen lauernden Unterton. "Soll ich mich
anziehen?" "Verspürst du noch Lust auf eine Zugabe?"
fragte ich müde lächelnd zurück. Sie zuckte die
Schultern. "Ich brauche des öfteren einen Mann", sagte
sie. Sie rauchte in tiefen Zügen. Mit gespreizten Beinen
und nach vorne geschobenem Bauch stand sie vor mir. Ihre
Natürlichkeit, die in ihrer Selbstverständlichkeit
schamlos wirkte, berührte mich. Irgendwie verspürte ich
den Wunsch, sie an mich zu ziehen und ihren stark
behaarten Bauch mit Küssen zu bedecken. Doch ich sagte
gegen meine aufsteigenden Gefühle : "Zieh' dich an,
bitte! Es ist gleich acht. Ich muss noch in die Stadt."
"Eine andere Frau?" forschte sie, während sie ihr
Höschen, ihren Büstenhalter, ihr Kleid anzog. "Es gibt
keine andere Frau", sagte ich bestimmt. "Wie könnte ich,
nach deiner Leidenschaft?"
Ich lächelte sie an. Sie hielt den Kopf schief, voller
Zweifel und versteckter
Eifersucht. "In dir steckt mehr", sagte sie. "Ich
glaube, in dir steckt sehr viel mehr, als man hinter dir
vermutet." "Du schmeichelst, wie immer." "Eine Frau, die
liebt, sieht mehr." "Ach, du liebst mich?" "Du solltest
nicht spotten. Nicht über mich." "Tue ich das?" Sie
nickte ernsthaft. "Manchmal bist du gemein." "Aber nicht
zu dir." "Nie - - ?" "Ich werde nie gemein zu dir sein.
Ich verspreche es." "Sollte ich dir dafür dankbar sein?"
"Warum?" "Ach, nichts." Ich nahm das Mädchen noch einmal
in meine Arme. "Bis bald", sagte ich. "Bis bald,
Renate." Sie drohte mir scherzhaft mit erhobenem
Zeigefinger. "Ja, bis bald! Und dass du mir brav bist
bis dahin! Wirst du das - ?" Ich hob die Hand wie zu
einem Schwur. "Ich werde, mein Kind. Ich kann treu sein
wie Gold. Hast du das nicht gewusst?" Sie ging lachend,
und winkte mir noch zu.
Was mich bewog, an diesem milden Juliabend vor dieser
Kneipe anzuhalten, kann ich nicht sagen. Ich erinnere
mich nur, dass ich, einem unerklärlichen Zwang folgend,
meinen Wagen an der Bordsteinkante parkte, ausstieg und
langsam auf die Tür zuging. Als ich sie öffnete, prallte
ich wie gegen eine unsichtbare Mauer. Musik, laute,
stampfende, kreischende, grölende Rhythmen überfielen
mich. Sie kamen aus einem überfüllten, schwach
beleuchteten Raum. Ich tastete einige Schritte vorwärts,
gewöhnte mich nur langsam an Lärm, Gekicher und
Dämmerlicht.
Als ich die schmale, sehr langgestreckte Theke erreicht
hatte, atmete ich erleichtert auf. Der Wirt dahinter war
klein, hatte einen unwahrscheinlichen Leibesumfang, eine
spiegelblanke Glatze und runde Knopfaugen. Er sah mich
an. Was darf ich Ihnen servieren? fragte er grinsend.
Servieren Sie mir ein Bier , grinste ich zurück. Ich sah
mich um. Alle Tische waren, soweit ich erkennen konnte,
besetzt. Junge Leute, sehr junge Leute, wohin ich auch
sah. Sie tanzten auf einer zu engen Fläche, umarmten
sich ungeniert, küssten sich und tasteten sich ab. Und
die Musikbox stöhnte und seufzte und heulte dazu.
Verwunderte Blicke kamen zu mir hin, und manchmal ein
verständnisloses Lächeln. Aber die da lächelten, waren
zu jung, als dass ich ihr Lächeln ernstgenommen hätte.
Also lächelte ich zurück und bestellte ein neues Bier.
Viel junges Volk hier, wie? meinte der kugelrunde Wirt.
Ich habe nichts gegen junges Volk , gab ich zurück. Er
hustete und strich sich über die spiegelnde Glatze. Dann
grinste er wieder und zeigte schwarze Zahnstummel. Sie -
ehmm - Sie suchen jemand? bohrte er dann weiter. Nicht
direkt , wich ich aus. Sie könnten aber was finden ,
meinte er. Es sind willige Mädchen dabei.
Ich fürchte , klärte ich ihn auf, ich käme dabei mit dem
Staatsanwalt in Konflikt. Er wischte mit einer dicken
Hand durch die Luft. Sie sehen nicht so aus, als gingen
Sie Schwierigkeiten aus dem Weg. Wie gut Sie mich kennen
, sagte ich und beendete die Unterhaltung, indem ich ihm
den Rücken zukehrte. Ein Mädchen strich an mir vorbei.
Ein sehr junges Mädchen, mit grell geschminktem Mund und
superkurzem Kleid. Und dieses Kleid hatte einen so
tiefen Ausschnitt, dass ich befürchtete, es könne
einiges herausfallen, das weiß und rund und sehr
aufregend war.
Hallo, Opa , flötete sie, spendierst du mir einen Drink?
Alle, die mich kennen, wissen, dass ich sehr gutmütig
bin. Und alle, die mich kennen, wissen, dass ich ein
Teufel sein kann. Schwirr ab! sagte ich düster zu dem
noch nicht ganz trockenen Kind. Schwirr ab, ehe ich dir
deinen nackten Arsch versohle! Damit schien sie nicht
ganz einverstanden. Bilde dir bloß nichts ein , zischte
sie giftig, auch wenn du einem Boxer ähnlich siehst.
Meine Freunde würden dich bestimmt auseinandernehmen.
Bestell' ihnen Grüße von mir , sagte ich gelangweilt und
drehte mich um.
Noch ein Bier , sagte ich zum Wirt. Keinen Ärger ,
mahnte der mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. Bei mir
gab's noch nie 'ne Schlägerei. Soll es ja auch nicht ,
beruhigte ich ihn. Ich bin ein friedlicher Bürger, der
nur sein Bier mit Genuss trinken will. Damit war unsere
Unterhaltung endgültig zu Ende. Ich saugte an meiner
Zigarette und stieß den Rauch hinauf in die dichte,
träge ziehende Wolke, die über unseren Köpfen hing. Und
dann waren sie da. Sie standen rechts und links neben
mir. Sie trugen Lederjacken und enge, ausgefranste
Hosen, hatten die Arme in die Seiten gestemmt und sahen
mich an.
Ist er das, Karin? fragte ein schwarzgelockter Jüngling
und wandte sich an das Mädchen von vorhin. Die Kleine
schien ihren Mut überschätzt zu haben. Sie verkroch sich
hinter dem Schwarzgelockten. Ihr bleiches Gesicht mit
dem zu stark geschminkten Mund lugte über seine nicht
sehr breite Schulter. Ja , rief sie hektisch. Ja, das
ist er! Das ist der Opa! Sie hätte das nicht sagen
dürfen, nicht noch einmal. Bestimmt hätte ich mit einem
kleinen Lächeln die Sache in Ordnung gebracht. Aber die
Frechheit dieser
Göre brachte mich auf die Palme. Und wenn ich auf
der Palme bin, werde ich kalt, eiskalt, zu kalt. Dann
spiele ich mein Spiel. Mit einem besorgten
Gesichtsausdruck sah ich auf die Uhr an meinem
Handgelenk. Fast elf , grinste ich und schüttelte
fassungslos den Kopf, fast elf, eine späte Stunde, und
der Kindergarten hat immer noch Ausgang? Ich finde das
sehr verwunderlich. Wirklich, ich finde das sehr
verwunderlich. Man sollte die Heimschwester
benachrichtigen, damit sie die lieben Kinderchen ins
Bettchen steckt.
Der Kreis um mich wurde enger, drohender. Bilde dir
keine Schwachheiten ein, Großer , sagte der
Schwarzhaarige, der wohl der Boss dieser Gruppe
darstellen sollte. Du findest dich wohl einsame Spitze,
wie? Es geht , sagte ich. Ich bin mit mir zufrieden.
Aber wir nicht mit dir. Er drückte seine Brust heraus
und versuchte, wie Joe Frazier zu wirken. Es gelang ihm
nur unvollständig, sehr unvollständig. Und dann kam er
mir nahe. Zu nahe. Ich spürte seinen stinkenden Atem in
meinem Gesicht. Das missfiel mir. Keine Dummheiten ,
warnte ich, und während ich dies sagte, grinste ich. Ich
grinste mein hässlichstes und gemeinstes Lächeln. Und
ich wartete. In solchen Situationen warte ich immer.
Doch während ich noch wartete, geschah etwas
Unvorhergesehenes. Plötzlich stand ein Mädchen vor mir.
Sie drängte sich zwischen mich und den Gelockten, nahm
ihn am Arm und sagte mit viel Angst in der Stimme:
Nicht, bitte das nicht, Frank! Sei doch endlich einmal
vernünftig. Dauernd gibt es Streit, wenn du in der Nähe
bist. Komm, lasst uns gehen! Es ist ohnehin spät genug.
Was in diesen Augenblicken im einzelnen geschah, weiß
ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur, dass ich dastand
und das Mädchen anstarrte. Ich hob die Hand und wischte
mir über die Stirn. Narrte mich ein Spuk? Das hier war
doch nur ein Traum. Das konnte keine Wirklichkeit sein.
Und ich sagte in diese eingetretene Stille, in dieses
lauernde Warten hinein: Jolie - - - ? Wie kommst denn du
hierher - - - ?
Erst viel später wurde mir klar, dass ich in diesen
Minuten Blödsinn geredet hatte. Jolie Chandrey, die ich
vor fast zehn Jahren in Ungarn kennen gelernt hatte, war
damals gleichaltrig mit mir gewesen. Und dieses Mädchen
da vor mir war kaum zwei- dreiundzwanzig. Die jungen
Leute um mich herum starrten mich an, als hätte ich
soeben eine glatte Landung im Pazifik hinter mir. Nur
der Schwarzhaarige gab keine Ruhe.
Was faselst du da für einen Blödsinn? fragte er, immer
noch großspurig und ungeduldig. Was quatschst du da von
einer Jolie? Das hier ist nicht deine Jolie. Das ist
mein Mädchen, verstehst du? Und wenn du sie auch nur
schief ansiehst, kannst du dir gleich ein Bett im
Krankenhaus bestellen! Ich kam aus dem Reich der Träume
zurück, lächelte leicht, weil ich jetzt die Situation
verstand und beherrschte.
Der Lockenkopf wollte seiner Liebsten imponieren. Er
wollte groß und stark sein und sich auch mit Worten
nicht schlagen lassen. Schon gut , sagte ich, ist ja
schon gut. Wir sollten uns vertragen und ein Bier
zusammen trinken. Mein Vorschlag kam an taube Ohren.
Scheiß auf dein Bier , sagte jemand aus der Runde. Wir
brauchen dein Bier nicht. Zieh' Leine! Wir kommen hier
ohne dich aus!
Ich öffnete den Mund zu einer Entgegnung, da hörte ich
wieder die Stimme des Mädchens. Ich hörte ihre Stimme
und ich sah in ihre Augen. Und in diesen Augen, die groß
und dunkel und feucht waren, sah ich die Angst. Ich
konnte nicht verstehen, warum Angst in diesen Augen war.
Ich sah dieses Mädchen an, das mich so sehr an Jolie
erinnerte. Ich sah dieses feingeschnittene Gesicht, die
zierliche, kleine Nase, den vollen, kirschroten Mund,
und dann das Haar, das schwere blonde Haar, das im
Nacken zu einem dichten Knoten zusammengeschlungen war.
Ich sah die üppig-weibliche Gestalt, die festen, prallen
Brüste. Bestimmt trug sie keinen Büstenhalter, denn die
Spitzen drückten deutlich durch den Stoff. Ich sah die
schönen schlanken Beine, bis weit über die Knie, darüber
fein modellierte Oberschenkel, deutlich abgezeichnet
unter einem eng anliegenden, dünnen mattblauen
Kleidchen. Sie redete auf den schwarzgelockten Jüngling
ein. Sie sprach hastig und voller Erregung.
Ich hörte nicht hin. Ich sah sie nur an. Doch dann
spitzte sich die Situation zu. Die Stimme des Mädchens
wurde heller und war voll Verzweiflung. Ich will nicht
länger bei dir bleiben , schrie sie unbeherrscht. Ich
halte dieses Leben nicht mehr aus! Hörst du? Ich will
fort! Ich hasse alles, was mit dir zusammenhängt! Was
schaust du mich so an? Schlag' mich doch! Los, schlag'
mich! Du tust es so oft, warum jetzt nicht? Los tu's
doch, du Schwächling! Für Minuten stand der lockige
Jüngling wie erstarrt. Ich wartete voller Spannung. Ich
war bereit. Jetzt wollte ich, jetzt musste ich bereit
sein. Es führte kein Weg vorbei. Und es ging schneller,
als ich dachte.
Die eine Hand des Burschen klatschte ihr ins Gesicht;
der Schlag warf sie zurück. Sie taumelte, schwankte,
dann fiel sie nach vorne, gegen mich. Für Sekunden
spürte ich den Duft ihres Haares, fühlte die weichen und
doch so festen Rundungen. Aber ich hatte keine Zeit,
mich ihnen zu widmen. Ich schob das Mädchen von mir,
sanft und mit zärtlicher Geste. Dann stand ich vor ihm.
In mir war jetzt kalte Wut und ich glaube, man sah sie
mir an. Meine Lippen verzogen sich zu einem bösen
Grinsen. Alle, die dieses Grinsen schon einmal gesehen
hatten, wussten, dass es danach kein Erbarmen gab. Du
Dummkopf , sagte ich zu dem Gelockten, mehr nicht. Ich
sagte es leise, träge. Er sah mich an. Er hatte immer
noch Mut. Und er versuchte es. Aber er war zu langsam.
Ich sah seinen weit hergeholten Schwinger, und selbst da
noch ließ ich mir Zeit. Kurz bevor er landen konnte,
duckte ich weg. Meine Faust fand seinen Magen. Nicht zu
hart, denn ich wusste, was in meinen Schlägen steckte.
Er verbeugte sich vor mir, als wolle er höflich sein. Er
bot mir seinen Nacken, der verdeckt war von schönen
schwarzen Haaren. Der Duft von billiger Pomade stieg in
meine Nase.
Komisch, dass mich das selbst in dieser Situation noch
störte. Es widerte mich an. Und ich setzte meine
Handkante in diesen Nacken, in diese Lockenpracht, in
diese klebrige Fülle. Seine Beine knickten weg. Er
sackte zusammen, ging zu Boden. Sein Mut war sehr viel
größer gewesen als seine Kondition. Als ich zahlte, sah
der Wirt mich voller Ehrfurcht an. Er schien
erleichtert, daß alles so schnell, so ohne weitere
Komplikationen zu Ende gegangen war. Ich lächelte noch,
als ich nach draußen ging. Tiefe Stille begleitete mich,
nur Bata Illic sang unverdrossen aus der Musikbox sein
Judy, I Love You! An der Tür wandte ich mich noch einmal
um. Ich sah direkt in die großen dunklen Augen des
Mädchens hinein.
Und diese Augen waren feucht und voller Angst.
Ich startete meinen Porsche und fuhr los. Am Stadtrand,
in einer einsamen Straße, nahe meinem Zwei-Zimmer-
Appartement, hielt ich an. Meine Erregung hatte sich
nicht gelegt. Mit fahrigen Bewegungen zündete ich mir
eine Zigarette an. Dann schaltete ich das Radio ein,
suchte eine Weile. Meine Gedanken gingen zurück. Sie
gingen einen sehr weiten Weg zurück; einen Weg, der mehr
als zehn Jahre lang war und mir doch so bekannt schien,
als wäre ich ihn gestern erst gegangen.
Mit einem tiefen Seufzer lehnte ich mich in die Polster
zurück. Ich öffnete ein Fenster. Die Luft war immer noch
voll sommerlicher Hitze, und der leise Wind, der die
Kronen der nahen Bäume rascheln ließ, brachte keine
Kühlung. Ein Pärchen kam die Straße herab. Sie hielten
sich an den Händen und taten sehr verliebt. In meiner
Nähe blieben sie stehen, küssten sich. Der Mann zog das
Mädchen weiter in den Schatten der Bäume, griff in den
Ausschnitt des leichten Kleides. Dann sah er mich,
lächelte und hob die Hand.
Minuten später gingen sie weiter. Ihre Schritte verloren
sich in der Nacht. Und ich saß da und träumte. Ich war
wieder in Budapest. Ich war eben einundzwanzig Jahre alt
geworden und fuhr, wie immer, unbekümmert und rasant
durch die Stadt. Für Augenblicke war ich unaufmerksam,
dann krachte es auch schon. Als ich aufwachte, lag ich
in irgendeinem Krankenhaus. Ach was, Krankenhaus. Es war
ein Tempel, aus weißem Marmor erbaut.
Die Tage, die ich dort verlebte, waren wie schöne,
unwirkliche Träume. Von meinem Fenster aus sah ich in
den Park. Ich spürte den Duft vieler fremder Blumen, und
am Abend hörte ich die Geigen der Zigeuner.
Als ich später soweit hergestellt war und man mir
kleinere Spaziergänge erlaubte, saß ich bis in die
späten Abendstunden in diesem Paradies und ich verspürte
eine Ruhe und eine Zufriedenheit, die man mit Worten
nicht erklären kann. Der Mond hing gelb und schwer am
Himmel und der warme Nachtwind rauschte einschläfernd in
den Bäumen.
Aus einem der geöffneten Fenster drang leise Radiomusik.
Eine dunkle Frauenstimme sang ein Lied von fremden
Küsten und Meeren, von Palmen und Zypressen und von
einer Liebe, die so schnell vorbeiging. Ich hatte mich
erhoben und lauschte, ging einige Schritte über tiefen,
dunkel glänzenden Rasen, und dann sah ich sie. Sie lag
in einem Liegestuhl, und ihr weißes Kleid schimmerte in
der Nacht.
Ich stammelte irgendeine Entschuldigung und wandte mich
ab. Da hörte ich ihr Lachen; ein silberhelles,
kindliches Lachen. Warum erschrecken Sie vor mir? fragte
sie leise, melodisch, verträumt. Glauben Sie etwa, ich
sei ein Gespenst? Ich erwachte aus meiner Erstarrung und
verlegen trat ich näher auf sie zu.
Verzeihen Sie - - ich - ich dachte - ich möchte Sie
nicht - - - Unter dem Blick ihrer samtbraunen Augen
stammelte ich nur dummes Zeug. Sie lachte noch einmal
leise, aber sie sagte kein Wort. Ich weiß nicht mehr,
wie lange ich so gestanden habe. Ich erinnere mich nur,
dass mein Herz wie wild zu klopfen begann und meine
Kehle trocken wurde. Sie ist nicht von dieser Welt,
dachte ich töricht. Ein großer Künstler schien ihren
Körper, ihren Kopf, ihren Hals in einer begnadeten
Stunde geschaffen zu haben. Er hatte das feinste
Material dazu verwendet, das die Erde überhaupt
aufweisen konnte. Im klaren, silberhellen Mondlicht
ähnelte ihr voller Mund einer frischen dunkelroten Rose,
und als sie sprach, glänzten kleine, schneeige Zähne.
Warum sehen Sie mich so an? Ich bin doch wohl kaum
anders als Sie selbst. Genauso Patientin wie die
anderen. Und auch verwundbar. Ein kleines Missgeschick,
und schon war das Bein gebrochen. Aber der
Heilungsprozess ist zufriedenstellend. Doch das wird Sie
wohl kaum interessieren. Kommen Sie, setzen Sie sich zu
mir! Es bleibt mir noch eine kleine Stunde, dann muss
ich ins Zimmer zurück. Gehorsam setzte ich mich neben
sie ins Gras.
Sie sprach, und während sie sprach, wandte ich keinen
Blick von ihr. Sie war Ungarin und ihr Vater leitete
eine chemische Fabrik. Ganz ungeniert erzählte sie, dass
sie gerade zwanzig Jahre alt geworden sei und was sie
zum Geburtstag alles geschenkt bekommen habe: Ein
Perlenkollier und andere teure Sachen. Doch Reichtum und
Geld schienen ihr unwesentlich im Leben. Das schönste
Geschenk für sie war ein kleiner, billiger Stoffbär, der
sie in ihrem Wagen begleitete. Diese Stunde entschädigte
mich für vieles, was ich im Leben an Schmutz und Lüge
von Verworfenheit kennen gelernt hatte. Im Rausch des
Augenblicks nahm ich ihre Hand und küsste sie in scheuer
Ehrfurcht.
Sie sah mich mit großen Augen an, dann lächelte sie und
schloss die Lider, und mir war, als wäre ein strahlender
Stern erloschen. Wir schwiegen beide. In unserer Nähe
waren Stimmen und jemand zupfte auf einem
Saiteninstrument. Das sind die Zigeuner , flüsterte das
Mädchen. Sie kommen jeden Abend um diese Zeit und
spielen für mich. Im bleichen Licht des Mondes sah ich
drei, vier Gestalten in schwarzen Hosen und
buntgestickten Jacken. Der Zigeunerprimas trat auf uns
zu und verbeugte sich. Er unterhielt sich mit meiner
Göttin, aber ich verstand die ungarische Sprache nicht.
Währenddessen hantierten die anderen im Hintergrund und
erst später merkte ich, dass sie eine vollständige
Kapelle bildeten. Ich sah, dass meine Madonna auf mich
zeigte und der Erste Geiger verstehend nickte. Dann trat
er wieder zurück, und alle stimmten ihre Instrumente.
Die Lautsprechermusik war verstummt und irgendwo in der
Dunkelheit wurde ein Fenster geschlossen. Vor mir
taumelte ein Blatt zur Erde und ich dachte daran, dass
es nun bald Herbst werden würde. Herbst aber heißt
Abschied; Abschied vom Sommer und tausend seligen
Stunden. Da hörte ich Zimbalklänge. Die Zigeuner
begannen zu spielen und mir war, als weinten die Geigen
mit den Herzen der Menschen, die so oft alleine und
unverstanden sind.
Das Mädchen neben mir lag mit geschlossenen Augen da,
und verwirrt bemerkte ich, dass ich noch immer ihre Hand
hielt. Behutsam streichelte ich die zarten Finger und
sah ihr dabei ins Gesicht. Sie schlug die Augen auf, für
Sekunden nur, da lösten sich von ihren langen, seidigen
Wimpern zwei glitzernde Tränenperlen und rollten langsam
über die Wangen. Erschreckt beugte ich mich vor. Aber -
warum weinen Sie denn - - -? Sie antwortete nicht.
Aus der Gruppe der musizierenden Zigeuner löste sich
eine Gestalt und kam auf uns zu. Es war der
Zigeunerprimas. Er hatte die Geige am Kinn und beugte
sich herab. Dicht vor mir war das edle Holz des
altersschwarzen Instruments, und ich sah schlanke
Finger, die kosend den Geigenhals beherrschten. Ein
plötzlicher Windstoß ließ mich frösteln. Mir war, als
nehme er alle die Wärme und das Glück dieser Stunde mit
sich fort in eine ferne, unerreichbare Welt. Ich spürte
die fragenden Augen des Mädchens an meinem Gesicht und
beugte mich über sie. Wir lächelten uns an. Wir
brauchten keine Worte. Unsere Hände fanden sich noch
inniger und unsere Herzen schlugen den gleichen Takt.
Als ich sie küsste, seufzte sie. So begann unsere Liebe.
Es war eine Liebe, wie ich sie vorher nie gekannt hatte.
Und wenn große Dichter schreiben, dass die wahre, die
wirkliche und die echte Liebe aus zwei Herzen ein
einziges macht, ein großes, verstehendes und
erfüllendes, dann haben wir beide uns geliebt, wie sich
nie zwei Menschen zuvor geliebt haben. Jolie hatte ein
Einzelzimmer in der Klinik und Ärzte und Schwestern, die
um unsere Liebe wussten, drückten beide Augen zu. Ich
erinnere mich genau an jene erste Nacht, als ich sie auf
ihrem Zimmer besuchte.
Es war sehr warm und die Fenster waren weit geöffnet.
Der Duft der Blumen war im Raum, ein Hauch von Parfüm
und ihr leises, erwartungsvolles Lächeln. Liebster ,
sagte sie, mehr nicht. Ihre schlanken weichen Arme kamen
mir entgegen. Der leichte Stoff ihres Hemdchens spannte
sich über den prallen Brüsten. Die Warzen standen steif
und vorgedrängt, verlangend nach Zärtlichkeit.
Ich drückte meinen Kopf auf diese heißen Hügel. Meine
erregenden Hände tasteten über diese Schönheit, die sich
mir mehr und mehr offenbarte. Du wirst mich nie
vergessen, nicht wahr? forschte sie mit dunklen,
ängstlichen Augen. Du wirst für immer bei mir bleiben?
Für immer , gelobte ich und ich wusste, dass ich die
Wahrheit sprach. Dann lächelte sie und sie schenkte mir
alle Zärtlichkeit, die Liebende nur verschenken können.
Wenn du fortgehst , sagte sie zwischen meinen Küssen,
dann werden wir uns Briefe schreiben. Versprich mir,
dass du wenigstens dreimal in der Woche schreiben wirst.
Versprich es! Meine Hände drückten zärtlich ihre nackten
Brüste, glitten tiefer über den flachen Bauch.
Ich verspreche es! Ich werde dir schreiben. Und ich
werde zurückkommen. Ich werde bald schon zurückkommen!
Sie seufzte und streckte sich meinen suchenden und
kosenden Händen entgegen. Ich fand ihr dichtgelocktes,
seidiges Vlies. Komm , sagte Jolie. Sie sagte es
flüsternd und voller Erregung und sie sagte es sehr
ungeduldig. Komm zu mir! Komm jetzt! Mach' mich
glücklich! Und ich kam zu ihr. Ich fand sie bereit.
Ich hörte ihre kleinen Seufzer an meinem Ohr und ich
spürte die weichen Hände, die meinen nackten Leib fest
umklammerten. Ooohh, - - jaaah. - - - Ooohh - - duu, -
guuut! Danach saßen wir lange und waren glücklich. Wir
sagten uns viele dumme Worte, aber wir verstanden sie.
So vergingen die Tage, die Wochen. Dann kam mein
Abschied.
Es war ein Tag wie jeder andere, und doch schien mir,
als seien die Wolken dunkler, die Sonne blasser, die
Blumen ohne Duft. Jolie stand auf dem Bahnsteig und ihre
Gestalt wirkte klein und hilflos. Ich hielt ihre Hand.
Ich komme wieder , sagte ich. Ein banaler Satz, aber mir
fiel nichts weiter ein. Dabei hatte ich gerade in diesen
Augenblicken so vieles sagen wollen.
Ich starrte aus dem Wagenfenster hinaus auf den
Bahnsteig. überall Abschied, wohin man auch sah. Ich
komme wieder , sagte ich noch einmal. Ich sagte es mit
viel Trotz in der Stimme. Hörst du, Jolie? Ich komme
bald zurück. Vergiss mich nicht! Ich schreibe dir, so
oft es geht! Sie lächelte zu mir auf. Sie war sehr
tapfer in jenen Augenblicken. Ich werde immer auf dich
warten , sagte sie und wischte sich über die Augen. Viel
Staub hier auf dem Bahnsteig , fügte sie hinzu. Ihre
Stimme begann zu zittern. Ihr schöner, voller, roter
Mund zuckte.
Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Ich beugte
mich weit herab. Ich nahm noch einmal die Hand dieses
Mädchens, dem meine ganze Liebe gehörte. Sie lief neben
dem Zug her, mit weit geöffnetem Mund. Ihr dichtes
blondes Haar, sonst im Nacken zu einem Knoten
zusammengeschlungen, hatte sich gelöst. Es flatterte wie
eine leuchtende Fahne hinter ihr her, wie ein Symbol
unseres Versprechens.
Komm bald zurück! rief sie. Und dann weinte sie. Sie
weinte zum ersten Mal seit jener Stunde, in der wir
angefangen hatten, von Abschied zu sprechen. Ihre Hand
wurde mir vom zunehmenden Tempo des Zuges entrissen. Ich
krallte meine Hände in den Fensterrahmen. Ich sah auf
die Gestalt des Mädchens, die kleiner und kleiner wurde.
Sie hob die Hand und winkte.
Die Züge fahren eine große, weite und langgestreckte
Kurve, wenn sie aus Budapest herauskommen. Noch einmal
sah ich über die Dächer der Stadt, die von der
untergehenden Sonne vergoldet wurden. Und ich weiß
nicht, warum das so war, aber in mir keimte eine
plötzliche Gewissheit, dass ich dieses hier, die Straßen
und die verträumten Plätzchen, die Rosennischen und die
spielenden Zigeuner, das Mädchen, das ich wie nichts
anderes auf der Welt liebte, nie mehr wiedersehen würde.
Kaum zwei Wochen später bekam ich eine ausbaufähige
Anstellung in einem großen Kaufhaus. Ich war sehr
glücklich darüber und ich machte schon Pläne, wann und
wie ich Jolie nach Deutschland holen würde. Ihre Briefe
machten mir Mut. Es waren die zärtlichsten Briefe, die
ich je von einer Frau erhalten hatte. Doch plötzlich
blieben diese Briefe aus, keine Zeile, kein Gruß mehr,
nichts. Die Briefe, die ich ihr schrieb, kamen zurück.
Und es waren viele, die zurückkamen.
Doch dann kam doch noch eine Nachricht, eine einzige
Nachricht. Es war ein Brief ihres Vaters. Und er schrieb
mir, dass eine Industriellentochter keinen einfachen
Angestellten heiraten könne und dass ich dafür
Verständnis aufbringen müsse. Er habe andere Pläne mit
seiner Tochter von jeher gehabt und die Flausen, die ich
ihr in den Kopf gesetzt hätte, werde er ihr schon
austreiben. Im übrigen sei für die nächsten Wochen schon
die Hochzeit angesetzt und er hoffe sehr, dass ich
keinerlei Versuche mehr unternehmen würde. Das war das
Ende.
In den Tagen danach, in den Wochen und Monaten, besuchte
ich Kneipen und Bars und ich tat das öfter, als gut für
mich war. Ich stürzte mich in die Arbeit. Man überhäufte
mich mit Lob und Gehaltserhöhungen, aber das Mädchen,
das ich verloren hatte, konnte ich dadurch nicht
vergessen. Darum nahm ich mir andere, und es waren nicht
wenige. Ich wurde bekannt in den Bars und in den Kneipen
und bei den Mädchen, und ganz allmählich kehrte die Ruhe
zurück; die Ruhe ganz da drinnen, die ich so sehr
brauchte, um arbeiten, um zufrieden leben zu können.
Es ging ganz gut, bis auf den heutigen Abend. Bis zu
jener Stunde, in der ich glaubte, Jolie wiedergefunden
zu haben. Dieses Mädchen hätte ihre Zwillingsschwester
sein können. Die Augen, das Haar, die Anmut und
Sanftheit. Verdammt, ich musste sie wiedersehen. Ich
musste sie wiederfinden. Morgen schon würde ich diese
Kneipe besuchen. Ich würde nach ihr fragen, nach ihr
forschen. Ich musste sie finden, und wenn ich einmal
einen Plan gefasst hatte, führte ich ihn auch durch.
Ich schrak zusammen. Ein Streifenwagen stoppte dicht
hinter mir. Ich hatte ihn nicht kommen hören,
wahrscheinlich hatte er sich im ersten Gang angepirscht.
Ein Polizist beugte sich zu meinem geöffneten
Wagenfenster. Haben Sie Schwierigkeiten, Mister? fragte
er jovial. Warum er gerade Mister sagte, war mir nicht
klar. Sicher ist es heute so, dass man mit einigen
ausländischen Brocken um sich werfen muss, um anerkannt
zu werden. Keine Schwierigkeiten , sagte ich.
Besinnliche Stunde. Das kenne ich , grinste der
Grünberockte. War sie hübsch? Blond? Schwarz? Sie ist
hübsch, klärte ich ihn auf. Hübsch und
blond! Hmm, brummte er und ging um meinen Wagen
herum und betrachtete ihn eingehend.
Toller Schlitten, anerkannte er. Fast neu, wie? Neun
Monate , sagte ich. Neun Monate? grinste er. Klingt wie
Ehe und Sex und alles, was danach kommt. Er war ein
Witzbold und ich sagte ihm das auch. Zufrieden stippte
er sich mit dem Zeigefinger die Mütze aus der Stirn.
Was wollen Sie? seufzte er auf. Liebe und Sex sind nicht
nur das Brot des armen Mannes. Auch wir Polizisten sind
nur Menschen. Ich glaubte ihm das. Darf ich Ihre Papiere
trotzdem sehen? wurde er dienstlich. Ich stieg aus und
gab sie ihm. Er sah zu mir hoch und pfiff leise durch
die Zähne. Und ich dachte schon , sagte er, ich sei der
nächste Herausforderer des amtierenden Weltmeisters.
Doch Sie scheinen auf der Liste um einige Plätze vor mir
zu stehen, wie? Könnte sein , ging ich auf seine Späße
ein. Ich bin mir fast sicher, die Muskelprotze von heute
zu bezwingen.
Großmaul, wie? lächelte er breit. Cassius Clay und so,
hä? Ist mein Vorbild, gab ich zu. Prima Kerl.
Modellathlet. Der Polizist sah mich nachdenklich an. Auf
Sie würde ich glatt mein karges Gehalt setzen, sagte er
schließlich. Sie sprechen mir Mut zu. Keine Lust, zur
Polizei zu kommen? Danke! Ich verdiene auch so ganz gut.
Trotzdem! Sie hätten mehr Abwechslung, würden im
Training bleiben. Schade, wenn so ein Körper vergammelt.
Er vergammelt nicht, beruhigte ich ihn. Ich achte
darauf. Expander, Hantel und ähnliche Scherze halten
mich fit. Sie müssen's wissen, brummte er und gab mir
die Papiere zurück. Dann wünsche ich gute Fahrt und -
eine gute Nacht! Gute Nacht, Wachtmeister , sagte ich
frohgestimmt und sah hinter ihm her, wie er sich neben
den Fahrer auf den freien Sitz zwängte.
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