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Der Schwule und der Bankdirektor
"Schuuuuuulz", klang
es überlaut aus dem Direktionszimmer. Tim hob den Kopf.
Es war kurz vor Feierabend.
Was konnte der alte Krawullke noch von ihm wollen ? Ein
erneuter, kurz gebellter Befehl machte ihm klar, dass es
besser sei, sich zu erkundigen, was Herr Direktor auf
dem Herzen habe. Schließlich war er noch in der
Probezeit, und dieser Job als Sparkassenangestellter
(Mario nannte es immer "Schalteraffe") in der Kleinstadt
Miesbach war zwar lausig, aber recht gut dotiert ... und
wählerisch konnte man nicht sein, wenn man 2 Jahre
Arbeitslosigkeit hinter sich hatte.
Als er das Allerheiligste betrat, sah er sofort
zweierlei Dinge: den laufenden Fernseher und das
hochrote Gesicht von Herrn Direktor Krawullke, einem
dicklichen Mann in den Fünfzigern, der zu
unkontrollierten Schweißausbrüchen und ebenso
unkontrollierten Wutausbrüchen neigte. Auch jetzt hätte
er ein neues Hemd gut gebrauchen können; unter den
Achseln zeichneten sich auf dem beigen Hemd dunkle
Flecken von der Größe eines Suppentellers ab.
Eines der Dinge, die Herr Krawullke nie gelernt hatte,
war ein moderater Umgang mit seinen Angestellten
("Geschmeiß" nannte er die Belegschaft seiner Filiale an
seinem Stammtisch).
"Schulz", brüllte er, als Tim das Zimmer betrat, "da
sind Sie ja, Mann Gottes. Tür schließen, setzen."
Der Besucherstuhl vor dem Schreibtisch war im Gegensatz
zu dem gepolsterten Chefsessel ein wirkliches
Armsünderplätzchen.
Tim saß, beugte sich Krawullke über die
Schreibtischplatte vor, bis sein Gesicht nur noch einen
halben Meter von Tims Gesicht entfernt war.
"Schulz", flüsterte er heiser vor Erregung, "Schulz, Du
bist erledigt. Ab nächste Woche gibt es für Dich nur
noch Stütze, du kleiner beschissener Homo."
Tim nahm flüchtig wahr, dass es bei Krawullkes wohl
Fisch zu Mittag gegeben hatte, dann erstarrte er vor
Schreck.
Woher konnte Krawullke wissen, dass er
homosexuell war ?
Er überlegte fieberhaft.
"Schulz, Du miese Schwuchtel, jetzt würdest Du gern
wissen, woher ich das weiß, oder ? Ja, wenn man schon
auf abartige Veranstaltungen geht, sollte man aufpassen,
dass einen das Fernsehen nicht erwischt..."
Krawullke lachte höhnisch.
Aus dem Fernseher hörte Tim dumpf "...damit beenden wir
unsere 30-minütige Sondersendung zum Christopher Street
Day...".
Krawullke tippte auf der Fernbedienung einen Knopf, und
das Bild erlosch.
Finster musterte er Tim.
"Die Konsequenzen sind Dir klar, Tuntchen ? Deine Zeit
hier ist abgelaufen. Miesbach ist `ne anständige Stadt,
das hier ist 'ne anständige Sparkassenfiliale, und Du
bist hier unerwünscht. Nachher schleppst Du uns hier
noch Krankheiten ein. Ich bin bloß heilfroh, dass ich
das noch vor Ablauf der Probezeit entdeckt habe."
Das schien Krawullke fast froh zu stimmen.
Eine Spur versöhnlicher sagte er: "Du wirst schon was
Neues finden ... Kartenabreißer im Schwulenkino
vielleicht ... aber hier will ich Dich ab morgen nicht
mehr sehen. Kapiert ?
Poficker, verdammter....".
Er wurde ob dieser Ungeheuerlichkeit wieder laut und
erging sich in weiteren Beschimpfungen.
Tim schluckte. Vor Wut und Scham war ihm schlecht, und
er beschloss, wortlos zu gehen. Die Alternative wäre
gewesen, Krawullke seine Selbstherrlichkeit in Form des
übergroßen Papierlochers auf dem Schreibtisch in sein
Gift und Galle spuckendes Maul zu stopfen.
Langsam stand er auf, ging mit hängenden Schultern zur
Tür und verließ das Büro seines ehemaligen Chefs.
An diesem Abend war, bis auf Tims persönliche Tragödie,
das Leben in Miesbach wie eigentlich immer.
Man ging ins Wirtshaus, um mit dem Stammtisch einen zu
heben, man nutzte das letzte Tageslicht an diesem
Maitag, um einige Gartenarbeiten zu machen, die
freiwillige Feuerwehr hielt eine Besprechung ab, und der
Karnickelzüchterverein plante das Sommerfest.
Miesbach ist ein kleiner Ort, jeder kennt jeden, jeder
ist in irgendeinem Verein, man trifft sich Sonntags auf
dem Bolzplatz, wenn der FC Miesbach gegen irgendeinen
nicht minder fünftklassigen Verein spielt ... ein Ort
also, wie es deren viele in Deutschland gibt.
Etwas war aber gar nicht so wie sonst in dem
Zweifamilienhaus, das Oma Erna sich mit einem Ehepaar
teilte.
Ein lautes Krachen hatte Oma Erna aus ihrer Lektüre des
"Goldenen Blattes gerissen". Und nun konnte sie nicht
mehr weiterlesen, weil von nebenan, aus der Wohnung der
Nachbarn, äußerst irritierende Geräusche kamen. Zuerst
dachte sie daran, hinüberzugehen und die Nachbarn zu
bitten, den Fernseher leiser zu stellen.
Dann fiel ihr auf, dass es ein merkwürdiges Programm
sein musste, das nur aus einem Pochen und kurzen,
abgehackten Schreien bestand.
Oma Erna war nie mutig gewesen, nur einmal, im Krieg,
als der Russe ihre Kartoffeln klauen wollte ... aber
gut, dass gehört nicht hierhin. Jedenfalls entschloss
Oma Erna sich, das Nachsehen den Profis zu überlassen.
Ein Anruf bei der freiwilligen Feuerwehr, das war die
Lösung.
Als der Anruf bei der Feuerwache Miesbach einging, war
die Besprechung in vollem Gange. Soll heißen, eigentlich
war keiner der hier versammelten Lebensretter mehr in
der Lage, ohne fremde Hilfe ein Loch in den Schnee zu
pinkeln. Der Wehrführer hatte schließlich Geburtstag,
und wenn es den Alkohol umsonst gab...
Der Telefonanruf wurde deswegen an den Neuling in der
Wehr durchgestellt. Niemand wusste, warum er zu diesem
herrlichen Besäufnis nicht erschienen war, aber da die
Tasten der Telefonanlage alle groß beschriftet waren und
der Wehrführer sich in einem lichten Augenblick an seine
Personalreserve erinnerte, landete Oma Erna schließlich
mit ihrem Anruf bei Feuerwehrmann Tim Schulz.
"Sie, Sie müssen hier unbedingt nach dem Rechten sehen
... da gehen merkwürdige Dinge vor sich ... Klopfen und
Schreien ... und es hört überhaupt nicht mehr auf....",
haspelte die alte Dame Tim ins Ohr.
Tim war begreiflicherweise nicht in besonders guter
Stimmung. Dennoch wusste er um seine Verantwortung als
Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, zog in Rekordzeit
seine Feuerwehrkluft an, griff sich die Axt, gab Mario
einen Kuss und eilte per Pedes in die Mariengasse
12...wie gesagt, Miesbach ist nicht groß.
Dort fand er eine händeringende Oma Erna vor, die sich
nun, in Gegenwart des jungen Mannes von der Feuerwehr,
etwas mutiger vorkam und mehrmals die Türklingel der
Nachbarn betätigte.
Daraufhin wurden die Schreie und das dumpfe Klopfen
merklich lauter.
Tim war überzeugt: hier stimmt etwas nicht.
Entschlossen hob er die Axt und verarbeitete die Tür in
wenigen Minuten zu Kleinholz.
Als er die Wohnung betrat, konnte er die Herkunft der
Schreie und des Klopfens deutlich lokalisieren.
Auf fast alles vorbereitet, betrat er das entsprechende
Zimmer.
Und dann fiel ihm die Axt aus den Händen.
Auf dem Bett lag eine Frau um die Vierzig. Sie trug ein
eng geschnürtes Korsett mit schwarzen Stockings und
glatten High-Heels. Sie war an Hand- und Fußgelenken mit
Ledermanschetten versehen, die mit den Bettpfosten
verbunden waren.
Aber nicht von ihr kamen die Schreie. Sie war geknebelt.
Das Schreien und Klopfen kam - erstaunlicherweise - aus
dem großen Wandschrank, der sich am Fußende des Bettes
befand.
Offensichtlich war dort jemand im Wandschrank !
Beherzt drehte Tim den großen Schlüssel, mit dem der
Schrank versperrt war - und wäre fast vor Lachen
umgefallen, als er die Tür öffnete.
Im Schrank befand sich ein Mann, gekleidet in schwarzes
Latex. Er trug eine Augenmaske, und auf der Brust
prangte ein Symbol, das Tim aus seiner Jugendzeit noch
kannte: das Bat-Symbol ... die schwarze Fledermaus auf
gelbem Grund.
Schlagartig wurde Tim klar, was passiert war: der Mann
hatte seine Frau aufs Bett gefesselt und hatte sodann
den Wandschrank erklommen, um sich von hier mit einem
Satz aufs Bett zu werfen und so der gespielten
Vergewaltigung den letzten Kick zu geben - nur leider
war er durch die Decke des Schrankes gebrochen und hatte
sich beim Sturz in den Wandschrank beide Beine
gebrochen.
Traurig schlängelte sich das schwarze Satin-Cape um die
völlig verdrehten Beine des Mannes.
Klar, dass der sich nicht hatte befreien können.
Ein hasserfüllter Blick traf Tim.
Und der fing plötzlich an zu grinsen - und dann lachte
er los, lauthals, wie er noch nie in seinem Leben
gelacht hatte.
"Na", brachte er zwischen zwei Lachanfällen hervor, "
Herr Bankdirektor Batman Krawullke, dann wollen wir doch
noch mal über die Kündigung sprechen, bevor wir den
Krankenwagen rufen...".
Und Tim lachte ... und lachte ... und lachte
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