Das Hotel Herrlich, dachte sie. 14 Tage England, Country Side, Tea und Toast, Schafe und the British Way of Life - immer etwas anders als woanders. Auch ihr Mann war von der Idee sehr angetan. Sie waren zwar schon oft auf der Insel gewesen, um in der Vergangenheit zu schwelgen, aber diesmal stand die Landschaft im Lake District im Vordergrund. Das Wichtigste am Morgen nach der Ankunft des Schiffes war, ein nettes Hotel zu finden. Die Richtung stand ja grob fest, und so machte sie sich daran, in dem berühmten roten Buch etwas Passendes auszusuchen. Sie hasste es, bei der Fahrt zu lesen, weil ihr immer übel wurde davon, aber was sein musste, musste sein. Die Gegend war immer sehr ausgebucht. "Was darf es denn maximal kosten?" fragte sie ihren Mann. "10 Pfund die Nacht!" kam wie erwartet die Antwort. "Das hilft mir wirklich weiter." "Sollte es ja auch nicht." "Pah!" "Werd' nicht frech, morgen ist schon Samstag." "War das ein Versprechen oder eine Drohung?" "Wie du es nimmst!" Sie grummelte vor sich hin und blätterte weiter im Buch. "Mit Blick auf den Lake?" "Mhm." "Mhm ja oder Mhm nein?" "Was hatte ich gerade zu dem Thema gesagt?" "Schon gut." lenkte sie ein. Sie grummelte erneut und blätterte. "Dies klingt gut. Country House Hotel mit view on extensive grounds. Direkt bei Windermere und bezahlbar ist es auch. Na ja fast, aber mit Abendessen und so ..." "Wenn du meinst, dann ruf halt an." Das Zimmer war schnell gebucht. Sie wunderte sich schon ein bisschen, warum es freie Plätze gab, schließlich war Hochsaison. Aber Glück musste man einfach haben. Die Fahrt von der Fähre bis dahin dauerte nur gut 4 Stunden selbst mit einem Zwischenstop an einem schönen Teil des Hadrians Wall und einer ersten Teatime. Das Hotel hielt allen Erwartungen stand. Es hatte einen eigenen 9 Loch Golfplatz, einen Bowle-Rasen, einen riesigen Garten mit Walderdbeeren und eigenen Kühen und einen großen Seerosenteich. Das Zimmer war groß und sonnig und man sah durch die Bäume auf den größten See Englands. Einfach perfekt alles. Die ältere Landlady war geschwätzig wie diese Damen so zu sein pflegen. Sie wurden über das Dinner und das Breakfast und sonst alles Wissenswerte aufklärt, ohne dass die Dame auch nur einmal Luft holte. Und einen Ehemann gab es auch. Den Fotos an der Wand nach zu urteilen, ein ehemaliger Air Force Pilot. Er ging schweigend durch die Halle. Die Wirtin war einen Moment still, folgte ihm mit ihrem Blick, schaute auf den dicken Spazierstock auf dem Kaffeetisch. Der Abend kam schnell. Der Weg ins Dorf war steil und viel weiter als gedacht, wenn man ihn nur einmal mit dem Auto gefahren war. "Lass uns unten am Ufer zurückgehen." sagte sie. "Das ist alles Privatbesitz. Da kommt man nicht ran." "Ich habe dahinten aber ein Schild zum Dampfschiffmuseum gesehen, und das muss doch wohl am Ufer sein." Er zog eine Augenbraue hoch. Sie ignorierte ihn. "_Morgen_ ist erst Samstag." "Das sind weniger als 6 Stunden. Soweit reicht mein Gedächtnis noch. Glaube mir." sagte er. "Ich geh trotzdem gucken." "Wie du meinst. Ich warte hier." Sie ging durch den Park bergab. Es sah vielversprechend aus. Sie kehrte um, um ihrem Mann Bescheid zu sagen, aber er stand nicht mehr an der Weggabelung. "Mist." dachte sie. "Wo steckt er denn bloß wieder." Ein Handy hatte sie auch nicht mit. Sie blieb etwas stehen und wartete. Aber er war weg. Als er nach 15 Minuten immer noch nicht wieder da war, machte sie sich vor sich hin schimpfend auf den Rückweg. Als sie im Hotel ankam, war er auch noch nicht da. Die Wirtin hörte sich die Geschichte von der unerwarteten Trennung gefühlvoll und mit vielen guten Ratschlägen kommentierend an. Nach weiteren 30 Minuten kam er dann auch bergauf angeschnauft. "Wo warst du denn?" "Das wollte ich dich auch gerade fragen." Der gepflegte ältere Herr ging wieder durch die Halle. Auch er hörte sich die Geschichte von der verloren gegangenen Ehefrau - diesmal erzählt von ihm - interessiert - aber im Gegensatz zu seiner Frau - schweigend an. Erst ganz am Ende bemerkte er fast beiläufig: "Hätten Sie sie an die Leine gelegt, wäre sie Ihnen nicht weggelaufen." Und ging langsam weiter zu seiner Bar am anderen Ende der Halle. Die beiden Verlorengegangenen sahen sich erst verblüfft, dann sogar etwas schockiert an. Der aufkommende Ehekrach war vergessen. Sie schluckte. Nur noch knappe 4 Stunden bis Samstag. Er würde das doch nicht ernst nehmen? Sie sah zu ihm auf. Er sah irgendwie nachdenklich aus. Angriff ist die beste Verteidigung, sagte sie sich. "Dann müssen wir ja nur noch diskutieren, wer an welches Ende der Leine kommt." "Das, meine Liebe," kam die trockene Antwort von oben herab, "ist wohl kaum erforderlich." Er ging ihr voraus zum Restaurant. Sie starrte auf seinen Rücken. Komisch, kam ihr das Hotel plötzlich vor. Aber vielleicht gehörten Wanderstöcke auf dem Couchtisch hier genauso zum guten Ton wie die Reitpeitschen im Schirmständer. Sie warf einen halben Blick an die Eingangstür. Golfschläger auch noch. Sie schauderte. Sie saßen im Speisesaal und aßen sich langsam durch ihr Fünf-Gang-Menu. Ab und zu nippte sie an ihrem Glas Rotwein. Sie sah aus dem Fenster hinunter auf den See und dachte wieder einmal "Urlaub." Und sie hörte den Gesprächen an den anderen Tischen zu, um schnell wieder mit der Landesprache warm zu werden. Schräg hinter ihnen saß ein mittelaltes Paar. Die Frau sah sehr gepflegt aus in ihrem Seidenkleid. Der Mann war recht groß und sehr schlank. Er bewegte sich sehr hektisch und sah immer zu seiner ruhig dasitzenden Frau hin. Sie sprach recht leise mit ihm, so dass nicht zu verstehen war, was sie sagte. Er nickte immer nur und sagte "Yes, Dear. Sure. As you mean. As you like it." Irgendwann sprang er mitten im Kauen auf und rannte wie von einer Biene gestochen aus dem Restaurant. Kurze Zeit später kam er mit einer Strickjacke zurück, die er seiner Frau um die Schultern legte. Sehr höflicher, aufmerksamer Mann, dachte sie, während sie versuchte dem Gespräch der beiden zu folgen. Fast unterwürfig, dachte sie. Fast? Sie beobachtete genau und auf die Frau passte nur ein Attribut 'königlich', auf ihn auch nur eines 'devot'. Seltsame Leute hier, dachte sie wieder einmal. Seltsames Hotel. Die Königin stand auf und ging. Ihr Sklave hob ihre Jacke auf und trug sie eiligst hinter ihr her. Sie sah ihren Mann wieder vorsichtig an. Er lächelte süffisant. "Auf Samstag." prostete er ihr zu. Sie wagte nicht, ihm den Toast zu verweigern. "Auf Samstag." sagte sie und hob grüßend ihr Glas. Sie lächelte nicht - mehr. Sekunden später kam der Sklave zurück in den Speisesaal. "MyLady möchte morgen früh im Zimmer essen." sagte er zu der Bedienung. "Sie hätte gerne einen Orangensaft, Tee, braunen Toast, Butter und Marmelade. Stellen sie es einfach um 9 vor das Zimmer. Ich werde es servieren." Und schoss davon. SEIN Lächeln war noch breiter geworden. "Ein wirklich passendes Hotel hast du da ausgesucht, meine Liebe." Er hob grüßend wieder sein Glas. Sie sah auf ihren Teller. Um kurz vor Mitternacht gingen sie nach oben. Sie hatten noch mit einem anderen Paar zusammen vor dem Kamin Kaffee getrunken. Im Zimmer holte er aus seiner Kosmetiktasche ein rot-schwarzes Spitzenstrumpfband und hielt es ihr hin. "Mitternacht, Aschenputtel." Sie zog es über ihr nacktes rechtes Knie. "Und morgen früh gehen wir die Distel, das Symbol Schottlands, suchen, von dem uns die beiden gerade so ausführlich erzählt haben." "Ja, Herr." sagte sie leise und schlug die Augen nieder. |